Wundauflagen und Verbandsmaterial in der nephrologischen Fachpflege
Evidenzbasierte Auswahl, Anwendung und Vorschlag für standardisierte Verbandswechsel
Chronische Wunden stellen insbesondere in nephrologischen Einrichtungen eine große Herausforderung dar. Patienten mit Niereninsuffizienz oder Dialysepflicht leiden häufig unter Komorbiditäten wie Diabetes mellitus oder arteriellen Durchblutungsstörungen, die die Wundheilung verzögern und das Infektionsrisiko erhöhen. Eine moderne, kausale und individuell angepasste Wundversorgung ist daher essenziell, um Heilungschancen zu verbessern und Komplikationen zu vermeiden (Dissemond et al., 2020).

Grundlagen: Definitionen und Anforderungen
Verbandsmittel sind Medizinprodukte, die oberflächengeschädigte Körperteile bedecken oder deren Körperflüssigkeit aufsaugen sollen. Dazu zählen Pflaster, Kompressen, hydroaktive Wundauflagen, Mull- und Fixierbinden sowie spezielle Produkte für die feuchte Wundversorgung. Die Auswahl des geeigneten Verbandsmaterials muss sich an der Wundart, dem Exsudatmanagement, dem Infektionsstatus sowie am Patientenkomfort orientieren (pflege.de).
Klassifikation der Wundauflagen
- Traditionelle (trockene) Wundauflagen
→ Pflaster und Mullkompressen: Geeignet für kleine, unkomplizierte Wunden; können jedoch mit der Wunde verkleben und sind daher für chronische Wunden weniger geeignet.
→ Saugkompressen: Für stark exsudierende Wunden, bieten Polsterung und Schutz.
→ Fettgaze: Verhindert das Verkleben mit der Wunde, geeignet bei oberflächlichen Wunden (pflege.de). - Moderne/hydroaktive Wundauflagen
Diese Auflagen fördern ein feuchtes Wundmilieu, das die Zellmigration und Angiogenese unterstützt und so die Wundheilung beschleunigt (BVMed).
| Wundauflage | Eigenschaften und Indikationen |
|---|---|
| Hydrofaser/Hydrofiber | Bildet bei Kontakt mit Exsudat ein Gel, absorbiert überschüssige Flüssigkeit, schmerzarme Entfernung (ABF Fachapotheke). |
| Alginat | Stark absorbierend, bildet Gel, hält Wunde feucht, unterstützt Reinigung und Heilung (pflege.de). |
| Hydrogel | Zur Wundbefeuchtung und Reinigung, besonders bei trockenen oder nekrotischen Wunden (pflege.de). |
| Silberhaltige Auflagen | Antimikrobiell, bei infizierten oder infektionsgefährdeten Wunden; Silber-Nanopartikel reduzieren Bakterien (BVMed). |
| Schaumstoffwundauflagen | Hohe Absorptionsfähigkeit, verkleben nicht, geeignet für mäßig bis stark exsudierende Wunden (pflege.de). |
| Hydrokolloide | Selbsthaftend, wasserfest, bilden Gel, fördern autolytische Reinigung (pflege.de). |
| Semipermeable Folien | Halbdurchlässig, schützen vor äußeren Einflüssen, ermöglichen Wundbeobachtung (pflege.de). |
Auswahlkriterien für nephrologische Patienten
Besondere Herausforderungen:
- Häufige Komorbiditäten (Diabetes, arterielle Verschlusskrankheit)
- Immunsuppression und erhöhte Infektionsgefahr
- Hautveränderungen durch Urämie und Dialyse (Dissemond et al., 2020)
Empfohlene Vorgehensweise:
Kausaltherapie immer vor Lokaltherapie: Vor der Auswahl und Anwendung von Wundauflagen ist die differenzierte Diagnostik der Wundursache und deren gezielte Behandlung unabdingbar. Das Hauptproblem bei der Versorgung chronischer Wunden ist häufig nicht die Auswahl des optimalen Verbandmittels, sondern die unzureichende Diagnostik und Behebung der zugrunde liegenden Ursache der Wunde. Gerade bei nephrologischen Patienten, insbesondere Dialysepatienten, bestehen oft gefäßchirurgische Begleiterkrankungen, die erkannt und behandelt werden müssen, um eine Heilung zu ermöglichen. Ohne eine konsequente Kausaltherapie bleibt selbst die modernste Lokaltherapie wirkungslos. Deshalb ist es essenziell, zunächst eine fundierte Diagnose zu stellen und die Wundursache gezielt zu therapieren, bevor das passende Verbandmittel ausgewählt wird (Fürstberger T., 2025).
Individuelle Wundanalyse: Differenzierte Wundbeurteilung (ICW-zertifiziertes Wundmanagement empfohlen).
Exsudatmanagement: Bei stark nässenden Wunden Hydrofaser- oder Alginatverbände wählen (ABF Fachapotheke).
Infektionskontrolle: Bei Infektionszeichen antimikrobielle Wundauflagen (z. B. mit Silber oder Polyhexanid) einsetzen (BVMed).
Schmerzreduktion: Nicht-haftende, atraumatische Materialien bevorzugen, um schmerzarme Verbandwechsel zu ermöglichen (pflege.de).
Patientenkomfort: Berücksichtigung von Allergien, Hautempfindlichkeit und Lebensqualität (pflege.de).
Integration von Wundexperten in das nephrologische Team
Ein entscheidender Qualitätsfaktor in der Versorgung chronischer Wunden ist die Einbindung von Wundexperten. Diese verfügen über eine spezielle Weiterbildung (z. B. Wundexperte ICW) und sind Teil eines interdisziplinären Teams, das die Versorgung, Beurteilung und Dokumentation von Wunden unterstützt (Klinikum Bayreuth, UKE, HBK-Bildungszentrum, Akademie-UMM). Wundexperten beraten und schulen das Pflegepersonal, begleiten komplexe Wundverläufe, führen Fallbesprechungen durch und koordinieren die Prozesse im Bereich Wundmanagement. Sie sind zentrale Ansprechpartner für alle Fragen der modernen Wundversorgung und tragen zur Qualitätssicherung und kontinuierlichen Fortbildung bei (Klinikum Bayreuth, UKE, Kliniken Köln). Es wird empfohlen, dass mindestens ein Mitglied des nephrologischen Teams eine anerkannte Weiterbildung zum Wundexperten absolviert oder regelmäßig externe Expertise hinzugezogen wird, um eine evidenzbasierte und aktuelle Versorgung sicherzustellen (ICW, Akademie-UMM).
Moderne Entwicklungen und Innovationen
Nanotechnologie und bioaktive Wundauflagen: Silber-Nanopartikel und andere bioaktive Substanzen zeigen in Studien eine signifikante Reduktion der Bakterienlast und eine Verkürzung der Heilungsdauer (EWMA, 2020). Intelligente Wundauflagen, die Wirkstoffe je nach Wundmilieu freisetzen, befinden sich in klinischer Erprobung und könnten die Versorgung weiter verbessern (TÜV-Rheinland-Akademie).
Kombinationsprodukte und Hightech-Lösungen: Viele moderne Wundauflagen kombinieren verschiedene Wirkprinzipien (z. B. Absorption, antimikrobielle Wirkung, Feuchtigkeitsmanagement). Künstlicher Hautersatz und KI-gestützte Therapien bieten neue Perspektiven für schwer heilende Wunden (TÜV Rheinland Akademie).
Interdisziplinäres Wundmanagement
Die Versorgung chronischer Wunden in nephrologischen Einrichtungen erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Pflege, Nephrologie, Gefäßchirurgie und ggf. plastischer Chirurgie. Ein strukturiertes Wundmanagement mit regelmäßigem Wundassessment, Dokumentation und Evaluation der Therapie ist unerlässlich (Dissemond et al., 2020). Die Integration von Wundexperten in das Team unterstützt die interdisziplinäre Zusammenarbeit und gewährleistet eine kontinuierliche Qualitätsverbesserung (Klinikum Bayreuth, UKE, HBK-Bildungszentrum, Kliniken Köln).
Standardisierte Vorgehensweise beim Wechsel von Wundauflagen

Ein strukturierter und aseptischer Verbandwechsel ist essenziell, um Infektionen zu vermeiden, die Wundheilung zu fördern und den Verlauf chronischer Wunden optimal zu dokumentieren und zu steuern. Die folgenden Schritte orientieren sich an aktuellen Empfehlungen (die-praxisanleitung.de, KBV, DocCheck, StudySmarter, ZBI-Gruppe, Universitätsklinikum Essen):
- Vorbereitung
→ Ärztliche Anordnung prüfen und dokumentieren, inklusive Angaben zu Wundart, Häufigkeit und besonderen Maßnahmen.
→ Patienten informieren und aufklären, Allergien und Unverträglichkeiten berücksichtigen.
→ Arbeitsplatz und Materialien vorbereiten: Desinfektion der Liege/Arbeitsfläche, sterile und unsterile Materialien getrennt, Abwurfbehälter bereitstellen.
→ Persönliche Schutzausrüstung anlegen (Handschuhe, ggf. Schutzkittel, Mund-Nasen-Schutz). - Inspektion und Wundbeurteilung
→ Händedesinfektion vor und nach jedem Patientenkontakt.
→ Alten Verband vorsichtig entfernen, Non-Touch-Technik anwenden: unsterile Handschuhe beim Entfernen, sterile Handschuhe oder Instrumente bei der Wundversorgung.
→ Wunde inspizieren: Beurteilung von Größe, Tiefe, Exsudatmenge, Farbe, Geruch, Wundrand, Wundumgebung und Infektionszeichen.
→ Wundstadium nach etablierten Klassifikationssystemen (z. B. Wagner, EPUAP/NPUAP) einteilen. - Fotodokumentation und schriftliche Dokumentation
→ Standardisierte Fotodokumentation: gleichbleibender Winkel, neutraler Hintergrund, ggf. Maßstab im Bild, Bilder nummerieren und regelmäßig aktualisieren.
→ Schriftliche Dokumentation im Wundprotokoll: Wundbeschreibung, Stadium, Exsudatmenge, Besonderheiten, verwendete Materialien, Maßnahmen und Verlauf. - Auswahl der Wundauflage
a) Auswahl nach Wundstadium, Exsudatmenge und Infektionsstatus:
→ Trockene Wunden: Hydrogele oder feuchte Wundauflagen
→ Stark exsudierende Wunden: Schaumverbände, Alginat- oder Hydrofaserauflagen
→ Infizierte Wunden: antimikrobielle Auflagen (z. B. mit Silber)
→ Nekrosen: ggf. chirurgisches Débridement, dann feuchte Wundbehandlung
b) Wundumgebung schützen, z. B. durch Barrierecremes. - Aseptische Durchführung des Verbandwechsels
→ Non-Touch-Technik strikt einhalten: Sterile Handschuhe und Instrumente nur für die Wunde und sterile Materialien verwenden.
→ Wunde ggf. mit steriler NaCl-Lösung reinigen, Débridement nach Anordnung durchführen.
→ Wundauflage entsprechend der Wundbeurteilung auflegen, Verband fixieren.
→ Verband auf korrekten Sitz prüfen, Patienten nach Komfort befragen.
→ Entsorgung der Materialien und abschließende Händedesinfektion. - Nachbereitung
→ Arbeitsplatz reinigen und desinfizieren, benutzte Utensilien sachgerecht entsorgen.
→ Patienten über Folgetermine und Verhalten nach Verbandwechsel informieren.
→ Dokumentation abschließen.
Fazit
Die Auswahl und Anwendung von Wundauflagen in nephrologischen Einrichtungen sollten stets evidenzbasiert, individuell und interdisziplinär erfolgen. Moderne, hydroaktive Wundauflagen fördern die Heilung, reduzieren Schmerzen und Infektionen und verbessern die Lebensqualität der Patienten. Ein strukturierter, aseptischer Verbandwechsel mit standardisierter Inspektion, Dokumentation (inklusive Fotodokumentation), Wundstadiumseinteilung und gezielter Auswahl der Wundauflage ist essenziell für den Therapieerfolg und die Prävention von Komplikationen. Die Integration von Wundexperten – intern oder extern – stellt einen entscheidenden Qualitätsfaktor dar und gewährleistet eine kontinuierliche Fortbildung, Beratung und Unterstützung des gesamten Pflegeteams.
Besonders wichtig ist dabei: Die Kausaltherapie – also die sorgfältige Diagnostik und gezielte Behandlung der Wundursache – muss immer vor der Wahl der Lokaltherapie stehen. Gerade bei nephrologischen Patienten, insbesondere Dialysepatienten, sind häufig gefäßchirurgische Begleiterkrankungen ursächlich für chronische Wunden. Werden diese nicht erkannt und behandelt, bleibt auch die beste lokale Wundversorgung ohne nachhaltigen Erfolg. Die richtige Diagnose und Behandlung der Grunderkrankung ist daher die Voraussetzung für eine erfolgreiche Wundheilung (Fürstberger.T. 2025).
Autorenangaben:
Herr Thomas Fernsebner M.A.
Akademie nephrologischer Berufsgruppen GmbH
Traunstein / Erfurt
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