Selbstbestimmung bis ans Lebensende:
Advanced Care Planning in der Dialyse
„Selbstbestimmung ist ein Teil meiner Menschenwürde, und sie endet weder mit dem Alter noch am Krankenbett und reicht bis in den Tod.“
(Schwanitz, o. J.)

Einleitung
Dieser Artikel basiert auf einer Facharbeit aus dem Jahr 2024 im Rahmen der Fachweiterbildung für Nephrologie und Dialyse und beleuchtet die Bedeutung der vorausschauenden Behandlungsplanung (Advanced Care Planning, ACP) für Dialysepatienten. Ziel war es, ein Konzept zu entwickeln, das die Patientenautonomie bis ans Lebensende sicherstellt und das Behandlungsteam in kritischen Situationen unterstützt. Die zentrale Forschungsfrage lautete: Ist Patientenautonomie in der Dialyse bis ans Lebensende möglich, und gibt das Wissen um den Patientenwillen dem Behandlungsteam mehr Sicherheit?
Hintergrund
Der Umgang mit Notfallsituationen oder die fortschreitende Verschlechterung des Gesundheitszustands von Dialysepatienten stellt das medizinische Personal häufig vor schwierige Entscheidungen. Oft ist unklar, ob eine Reanimation, Intubation, Verlegung auf die Intensivstation oder eine palliative Versorgung im Sinne des Patienten ist. ACP ermöglicht es, Behandlungsentscheidungen im Einklang mit den Wünschen der Patienten zu treffen und deren Selbstbestimmung zu wahren.
Das Ziel von ACP ist es, sicherzustellen, dass Menschen stets entsprechend ihren individuellen Wünschen behandelt werden. Insbesondere Patienten mit fortschreitender Nierenerkrankung sind aufgrund kardiovaskulärer Komorbiditäten häufig von plötzlichen Situationen der Nichteinwilligungsfähigkeit betroffen. Um dennoch ihren Willen zu respektieren, ist eine differenzierte Vorausplanung entlang ihrer individuellen Lebensziele notwendig (Pommer et al., 2021, S. 15).
Das Konzept der gemeinsamen Entscheidungsfindung basiert auf der Prämisse, dass Behandlungsentscheidungen mit den Patienten getroffen werden sollten – nicht für sie (Pommer et al., 2021, S. 9).
Was bedeutet Advanced Care Planning (vorausschauende Behandlungsplanung)?
Bereits vor 20 Jahren entwickelte der amerikanische Arzt Bud Hammes das Programm „Respecting Choices“. Zentrales Element ist ein Formular, das den Patienten ermöglicht, festzuhalten, wie sie in Notfallsituationen behandelt werden möchten (POLST: Physician Order for LifeSustaining Treatment), erstellt gemeinsam mit einem professionellen Berater.
Parallel dazu formulierte der kanadische Bioethiker Peter Singer die erste Definition von Advanced Care Planning. Er beschreibt ACP als einen „Prozess, der den Patienten befähigt, seine Wünsche gemeinsam mit seinem Behandlungsteam, seiner Familie und anderen wichtigen Bezugspersonen auszudrücken. Gegründet auf dem ethischen Prinzip der Patientenautonomie und der legalen Bestimmung einer informierten Zustimmung“ (Singer et al., 1996). Diese Definition wurde in den letzten Jahren international adaptiert und weiterentwickelt.
Das Konzept des ACP umfasst sowohl eine individuelle Gesprächsbegleitung für Menschen, die vorausplanen möchten, als auch eine systemische Implementierung. Ziel ist es, sicherzustellen, dass der im Voraus geäußerte Wille der Patienten in der konkreten Behandlungssituation berücksichtigt wird. Es geht dann vor allem darum, in intensiven Gesprächen die Lebenswelt und den Lebenswillen zu klären und als Vorlage für die genaue Festlegung bei speziellen Krankheitsszenarien zu nutzen.
Werden diese Präferenzen schriftlich festgehalten, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Patientenwünsche umgesetzt werden. Die Art der Dokumentation kann flexibel gestaltet werden; es stehen standardisierte Formulare zur Verfügung. Mittlerweile gibt es spezielle Ausbildungen zum ACP-Berater.
Wie kann eine individuelle vorausschauende Therapieplanung in der Dialyse umgesetzt werden?
Bestandsaufnahme: Erhebung bestehender Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten.
Patientengespräche: Sensibilisierung für ACP sowie Unterstützung bei der Erstellung entsprechender Dokumente und Therapiezielgespräche mit geschultem Personal.
Dokumentation: Integration eines ACP-Tools in das Dialysedokumentationsprogramm mit Zugriff für das gesamte Behandlungsteam.
Schulung des Personals: Befragung des Pflegepersonals mittels Fragebogen zur Bewertung des ACP-Konzepts.
Diskussion
Die Implementierung von ACP ist ein kontinuierlicher Prozess, der regelmäßige Reevaluierungen und Anpassungen erfordert. Die positiven Rückmeldungen von Patienten und Personal verdeutlichen die Vorteile des Ansatzes. Die Ergebnisse zeigen, dass ACP die Versorgungsqualität steigert und die Patientenautonomie nachhaltig stärkt.

Fazit
ACP ist ein wertvolles Instrument, um die Patientenautonomie bis ans Lebensende zu sichern. Gleichzeitig bietet das Wissen um den Patientenwillen dem Behandlungsteam klare Handlungsanweisungen, insbesondere in kritischen Situationen.
Autorenangaben:
Frau Nicole Griffel
Ernst von Bergmannklinikum Potsdam
Fachkraft Nephrologie, ehemalige Weiterbildungsteilnehmerin in der Akademie nephrologischer Berufsgruppen, Traunstein
Quellenverzeichnis
Advanced Care Planning Deutschland 2022. ACP Deutschland. www.advancecareplanning.de
Herfurth, K., Busch, M. & Wolf, G. 2023. Beendigung der Dialyse und Palliativnephrologie. Die Nephrologie 18, 2, 78–85. link.springer.com/10.1007/s11560-022-00628-0 [Stand 202401-22].
Pommer, Wolfgang, Thumfart, Julia Angelika & Ateş, G. (Hg.) 2021. Palliative Nephrologie: aktuelle Beiträge aus der Praxis. München-Deisenhofen: Dustri-Verlag, Dr. Karl Feistle.
Schwanitz, Rolf Letzte Hilfe – EINFÜHRUNG. letzte-hilfe.de/einfuehrung/ [Stand 2024 03-20].