Muskelkrämpfe bei Dialysepatienten – strategisches Handeln mit Hilfe des Pflegeprozesses
Zusammenfassung
Muskelkrämpfe stellen bei Dialysepatient*innen eine häufige und belastende Komplikation dar, die eng mit volumetrischen und elektrolytischen Veränderungen während der Behandlung verknüpft ist. Das sogenannte Sollgewicht, auch Trockengewicht genannt, definiert das Körpergewicht, bei dem keine Anzeichen von Überwässerung wie Ödeme, Bluthochdruck oder Kurzatmigkeit vorliegen. Dieses Gewicht wird regelmäßig anhand klinischer Parameter, Blutdruckmessungen, Laborwerten und individueller Symptomatik angepasst, um eine optimale Flüssigkeitsbalance zu gewährleisten. Trotz sorgfältigen Herantastens an das Sollgewicht kann eine zu aggressive Ultrafiltration während der Dialyse den intravasalen Volumenstatus rasch senken und dadurch Muskelkrämpfe auslösen, die von Muskelzuckungen bis zu schmerzhaften, langanhaltenden Kontraktionen reichen können (DGfN, 2022.; Lorenz, 2011; Pawlow-Handt, 1997)

Klinische Bedeutung und Symptomatik
Daher beschäftigt sich der vorliegende Artikel mit dieser häufigen Komplikation (20–30 % aller intradialytischen Vorfälle), um der betroffenen Patientengruppe zu helfen und mittels Pflegeprozess eine geeignete Strategie zu entwickeln. Wer selbst von Krämpfen, z. B. bei exzessivem Sport, betroffen ist oder diese Erfahrung gemacht hat, kennt die schmerzhaften, spontan auftretenden Krämpfe. Die Schmerzintensität und -dauer variiert von leicht bis sehr stark und wird als äußerst belastend empfunden. Die Ursachen sind nicht vollständig verstanden. Üblich ist die Erklärung durch Flüssigkeits- und Elektrolytverlust, die durch die rasche Ultrafiltration als ein Ungleichgewicht der Kompartimente verursacht wird. Außerdem wird mit der Ultrafiltration eine große Menge Salz entfernt, was ebenso eine Rolle spielen könnte. Ob periphere Minderdurchblutung durch Zentralisation des Blutvolumens mitwirkt, ist weiterhin unklar. Dennoch scheint das spontane Auftreten von Krämpfe durch die Faktoren Ultrafiltration, Elektrolytverschiebung/-verlust innerhalb und zwischen den Kompartimenten sowie periphere Minderdurchblutung zu begünstigen. (DGfN, 2022; Essner, 2018; Grandner, 2017; Lorenz, 2011; Pawlow-Handt, 1997; Strube, 2025; Brauer, 2023)
Pflegerische Krankenbeobachtung und Dokumentation
Die pflegerische Krankenbeobachtung während der Dialyse ist entscheidend, um frühzeitig Anzeichen von Muskelzuckungen oder beginnenden Krämpfen zu erkennen. Dazu gehören die Überwachung der Vitalzeichen (Blutdruck, Puls), Beobachtung unwillkürlicher Muskelbewegungen sowie aktive Kommunikation mit den Patient*innen über auftretende Schmerzen und Missempfindungen. Zusätzlich werden Hautzustand, Körperhaltung und emotionale Verfassung beurteilt, da Unruhe und Angst die Krampfneigung verstärken können. Die präzise Dokumentation von Krampfhäufigkeit, Dauer, Lokalisation und Ausprägung ist grundlegend für die Pflegeplanung und Evaluation (Müllner, 2012; Geberth, 2011)
Pflegeprozess: Unterstützung bei Krampfneigung
Im Pflegeprozess stellt die wiederkehrende Muskelkrampfproblematik ein zentrales Pflegeproblem dar, das analysiert und differenziert werden muss. Ziele sind die Verbesserung der Lebensqualität, Vermeidung schmerzhafter Krämpfe sowie Förderung der Adhärenz und des Wohlbefindens vor, während und nach der Dialyse. Präventive Maßnahmen umfassen die Kontrolle und Anpassung des Sollgewichts, Überwachung der Ultrafiltrationsrate, Optimierung der Dialysatzusammensetzung (Natrium, Magnesium) und Anleitung zur angemessenen Flüssigkeitsaufnahme. Individuelle Maßnahmen wie Lagerung, Wärmeanwendungen, Bewegungsübungen oder präventives Dehnen sind wertvolle Ressourcen. Bei akuten Krämpfen sind interventionelle Pflegehandlungen wie Unterbrechung der Ultrafiltration, Mobilisierung, Dehn- und Lockerungsübungen sowie medikamentöse Interventionen (z. B. Magnesiumgabe) erforderlich. Emotionale Begleitung und Förderung eines angstfreien Dialyseerlebnisses tragen wesentlich zur Krampfverminderung bei (DGfN, 2022; Fachverband nephrologischer Berufsgruppen e. V., 2023; Müllner, 2012, Schumacher, 2015)
Pflegediagnosen im Kontext Muskelkrämpfe
Für Muskelkrämpfe existieren keine alleinstehenden NANDA-Pflegediagnosen mit spezifischem Code. Muskelkrämpfe werden als Symptome bei Diagnosen wie „Akuter Schmerz“ (NANDA Code 00132) oder „Beeinträchtigte körperliche Mobilität“ (NANDA Code 00085) geführt. Medizinisch entspricht die Klassifikation dem ICD-10-Code R25.2 „Krämpfe und Spasmen der Muskulatur“. Die Pflegeplanung nutzt daher NANDA-Diagnosen passend zum Problembild und beschreibt Krämpfe als Teil der Symptomatik (NANDA International, 2024).
Mögliche Pflegediagnosen bei Krämpfen sind:
- Aktuelle Pflegediagnosen (z.B. muskuläre Krämpfe mit Symptomen wie Spannung, Schmerzen, Bewegungseinschränkung)
- Risiko-Pflegediagnosen (z.B. Krampfgefahr durch Elektrolytstörungen, Dehydration)
- Syndrom-Pflegediagnosen (z.B. Krämpfe im Rahmen von Immobilitätssyndromen)
- Gesundheits-Pflegediagnosen (Fokus auf Prävention und Gesundheitsförderung)
- Verdachts-Pflegediagnosen (Verdacht auf Krämpfe bzw. Ursachen)
Beispielhafte Formulierung:
„Akute Schmerzen und Muskelkrämpfe bedingt durch Elektrolyt-Ungleichgewicht und Flüssigkeitsmangel, mit Einschränkung der Mobilität.“
Pflegeinterventionen bei Muskelkrämpfen und Sofortmaßnahmen
Beobachtung und Dokumentation der Krampfhäufigkeit und -intensität
Mobilitätsförderung und aktive/passive Bewegungsübungen
Überwachung von Flüssigkeitsbilanz und Elektrolytstatus
Schmerzbehandlung und Muskelentspannungstechniken
Schulung der Patient*innen zur Selbsthilfe bei beginnenden Krämpfen
Ultrafiltration sofort reduzieren oder pausieren
Betroffene Muskulatur sanft dehnen und massieren zur Entspannung.
Wärmeanwendung (feuchtwarme Umschläge oder Wärmflasche) einsetzen.
Falls Elektrolytungleichgewichte vermutet werden, ärztliche Abklärung und ggf. gezielte Gabe von Magnesium oder Kochsalzlösung.
Kreislaufüberwachung und bei Anzeichen von Schwindel oder Hypotonie und Pulskontrolle
Nephrologisches Fachpersonal bleibt beim Patienten
(DGfN, 2022)
Die Einteilung der Muskelkrämpfe nach Schweregrad unterstützt die differenzierte pflegerische Intervention. Leichte Muskelzuckungen benötigen meist nur Beobachtung, leichte Krämpfe lassen sich durch einfache Maßnahmen behandeln, mittlere Krämpfe verursachen deutliche Schmerzen und schwere Krämpfe können Dialyseabbrüche bedingen und erfordern sofortige Intervention.
Ausblick: Individuelle Pflegeplanung und Erfahrungswissen
Die Vermeidung und Behandlung dialysebedingter Muskelkrämpfe ist ein interdisziplinärer Prozess, der medizinisches Fachwissen und pflegerisches Können vereint. Besonders wichtig ist die individuelle Pflegeplanung, die auf den spezifischen Bedürfnissen, Erfahrungen und der Situation der einzelnen Patient*innen basiert. Aufgrund der Variabilität der Krampfentstehung und der persönlichen Ausprägung erfordert dies spezielles pflegerisches Erfahrungswissen. Nur so kann eine individuell abgestimmte Strategie entwickelt werden, die Prävention, Akutinterventionen und emotionale Unterstützung vereint. Dies fördert die Lebensqualität erheblich und unterstützt eine nachhaltige Adhärenz während der lebenslangen Dialysebehandlung.
Autorenangaben:
Herr Thomas Fernsebner M.A.
Akademie nephrologischer Berufsgruppen GmbH
Traunstein / Erfurt
Literaturverzeichnis
Brauer, K. G. (2023, Mai 4). Dialysepatientin mit schmerzhaften Krämpfen. Deutsche Apotheker Zeitung. deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2023/daz-18-2023/dialysepatientin-mit-schmerzhaften-kraempfen
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Grandner, M. A., & Winkelman, J. W. (2017). Nocturnal leg cramps: Prevalence and associations with demographics, sleep disturbance symptoms, medical conditions, and cardiometabolic risk factors. PloS One, 12(6), e0178465. doi.org/10.1371/journal.pone.0178465
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NANDA-I International. (2024). NANDA-I International Nursing Diagnoses: jetzt bestellen im Thieme Webshop | 9781684206049. shop.thieme.de/NANDA-I-International-Nursing-Diagnoses/9781684206049
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Schumacher, B. (2015). Vermeidung der Komplikation intradialytische Hypotonie – Umsetzung pflegerelevanter Forschungsergebnisse. Dialyse aktuell, 19, 31–35. doi.org/10.1055/s-0035-1546760
Strube, D., & Mensch, A. (2025). Krampi/Muskelkrämpfe: Therapieoptionen. DGNeurologie, 8(6), 478–480. doi.org/10.1007/s42451-025-00788-y